Liebe

Löwenherz

An seinem Sein war alles groß, so auch der Wille, der ihm hieß, zu gehen, ohne auszuruhen.

Er war ein Löwe alt, zersaust,
die Lider hingen schwer.
Die Pfoten schwarz vom Teer der Straße,
seine Augen schloss er nicht einmal im Schlaf.
Sein Brüllen - ein Laut von einstig großen Taten,
der Gilb verprasster Jahre lag schwer auf dem Gemüt.
Er fauchte wie ein altes Weib, wenn er die Liebe roch.
Er war ein Großstadtlöwe, satt und leer,
aufgewachsen zwischen dem Müll und Schutt loser Versprechen.

Er wollte ihre Liebe nicht, er wollte nicht die Hand, die seine Wunden strich.
Sie war nicht viel für ihn, zu wenig für ein Mahl.
Sie ging die gleichen Straßen, hielt Wache dort in mancher Nacht.
Und folgte stetig seinem Gang, im Schatten seiner Schritte, auch wenn er Zähne fletschte,
und alte Wut sich brach, tiefrot aus seinem Schlund.
Dann sah er sie im Morgengrauen, als sie sich früh am Tag, so müd der langen Wege
auf ihrem Rücken streckte.
Und dort wo zarter Flaum die Weichheit ihrer Seele säumte, erblickte er die Narben dicht gedrängt.

An diesem Tag im Morgengrauen, da stahl sie ihm sein Herz.

Wortsplitter

Einst warst du Findelmensch
ein wilder Schwung am Tag
Du teiltest Milch
aus einer gesprungenen Tasse
pausbäckig
Wir standen ineinander
mit entblößten Sinnen
Niemand hat uns gesegnet
doch wir haben uns erhört

Heute tragen wir Grimassen
weil wir versuchen zu gucken
wie vor zwanzig Jahren
Wir scheuen das ehrliche Licht
Lange schon knipsen wir die Dunkelheit an
bevor wir uns gegenüber treten
An hellen Tagen erinnere ich mich
finde Kinderfüße im Gedächtnismeer
Dann blättere ich in deinem Gesicht
versuche unsere Sätze zu finden

Wir wissen um die entzündeten Wörter
wissen um die Wortsplitter
verloren aus dem Kaleidoskop unserer Erinnerungen
Sie versuchen sich auf unseren Zungen zu halten
verstecken sich in geschützten Mundhöhlen
wo sie schmerzen und schneiden

Vielleicht wird der Zeitpunkt kommen
an dem sich unsere Lippen öffnen werden
Dann werden unsere Wörter fliehen
mit Gaumensegeln
Sie werden stürmen
als eine reißende Stampede
Sie werden endgültig gehen
sich durch einen beherzten Sprung retten
in Hände
die unsere Geschichte niederschreiben werden

Bande

Wir werden uns verlieren – irgendwann
wir werden uns  finden – irgendwann
und wir werden bleiben – Schwestern

In dunklen Kuhaugen sahen wir die Weite unserer Wiesen
das Land gab uns die Wurzeln, doch Flügel gab es nur bei dir
oft tränten meine Augen der Freude auf das Spiel entgegen
dann flogen wir als Adler übers Feld
und bogen Weizen unter unseren Schwingen
Ich wartete auf dass dein Blick die Wolken jagte, denn hinter deinen Lidern schlief der Sturm
und schlugst du sie gen Himmel
dann kreisten Drachen über uns
wenn Freiheit deine Nasenflügel weitete
erst dann sah ich dich richtig ...

Vergangen ist - was wir nicht halten konnten
Vergangen ist - was heute in uns schläft
und immer noch sind wir heut’ - Schwestern

Jetzt stehst du dort im Kleid aus Taubenfedern
die wiesengrünen Augen blicken stumpf
Wann nur erreicht mein Fühlen den Tag
an dem mich deines nicht mehr rührt?
Die Drachen kreisen immer noch, doch nun in uns
Sind aus den Falten unserer Kinderkleider die Sommerdüfte lange schon verflogen
brennen die Spuren längst verdorrter Ähren noch unter unseren Fingernägeln
Manchmal tropft die Vergangenheit aus deinen Augen
und in den Seen deiner Pupillen erkenne ich mein Spiegelbild

erst dann seh’ ich mich richtig …

Kafka im Weizenfeld

meine roten Arme kühlen im Fahrtwind
ein Schokoriegel schwitzt hinter der Windschutzscheibe
du hattest noch diese eine Woche im Gepäck
versteckt unter einem Paar grauer Socken
und deinem Brasilien T-Shirt
ein paar lose Tage

der Schatten hat sich unter unser Auto verkrochen
gut so, dort kann er bleiben
unser Käfer brummt dösig vor sich hin
ich kneife meine Augen zusammen
der Horizont auf 2 Millimeter
alles verschwimmt
bis auf das Blau

wir landen in einem Weizenfeld
Aliens haben uns netterweise einen Kreis hineingeschnitten
überall um uns herum sprießt der Weizen
ich lese ‚Kafka am Strand’
während sich ein Weizenstengel in meine Nase bohrt
ein Summen liegt in der Luft
der Himmel ist heute näher als sonst
die Sonne auch
wir lecken Schokolade von einem Papier
noch einmal versuche ich es mit meinem Buch und lege ein Lesezeichen in den Tag

damit ich ihn morgen wieder finde